Tage und Nächte in Urwald und Sierra. Kurt FaberЧитать онлайн книгу.
Vorhang zurück, der an Stelle der Tür vor dem Eingang hing, und war nun einigermaßen überrascht von der kosmopolitischen Zusammensetzung des Publikums. In allen Farbenmustern waren sie hier vertreten, vom hellsten Weiß bis zum Zitronengelb und Schokoladenbraun, und einige waren darunter, die schwarz waren wie chinesische Tusche. Ein dicker Geruch von schlechtem Rotwein und billigem Tabak lag schwer in der Luft. Im Halbdunkeln standen die Fässer, die den Gästen als Sitzgelegenheit dienten. Ganz im Hintergrund, mehr zu hören als zu sehen, hatte sich eine Gesellschaft von Italienern niedergelassen, die sich über ihr Lottospiel beugten, während ein alter Bursche von einigen siebzig Jahren, feierlich wie eine Eule, die Nummer ausrief.
»Ottantotto! Tschinkoantatschinkue! – –«
Das Geschäft ging gut, und die Kellner hatten alle Hände voll zu tun. Aber der Wirt saß unbekümmert auf einem Weinfaß und hielt ausgiebige Siesta. Ich zeigte ihm meine Scheine, die er mit den Fingerspitzen anfaßte und sogleich wieder zurückgab mit einer Miene tiefster Mißachtung.
»No vale nada!«
Sprach's und schlief gleich wieder ein.
Einige umherstehende Gäste machten ihre Bemerkungen zu dem versuchten Geldgeschäft. – »Chilenische Fetzen – gegen gute peruanische Pfunde? Que esperanza! Wo denken Sie hin, Caballero! Das hat hier keinen Wert. Das ist kaum noch gut genug als Tapete für ein peruanisches Zimmer.« Das ganze Lokal mischte sich hohnlachend in das Argument und spann das Thema immer weiter aus in immer kühneren Wendungen, die viel zu verwegen waren für Tinte, Papier und Druckerschwärze. Gewiß wäre es noch lange so weiter gegangen, wenn nicht von draußen ein dicker, schwitzender Herr hereingekommen wäre, mit einer Glatze, die im Halbdunkel des kahlen Raumes wie eine polierte Panzerplatte funkelte.
»Senor, Caballero,« sagte er mit gemessener Summe, »ich werde Ihnen das Zeug da abkaufen zum Kurs von Valparaiso. Denn wir sind Caballeros, wir Peruaner. Ich werde es behalten als Andenken an den Tag von Ancon. Ich werde es mitnehmen, wenn ich demnächst hinüberfahre nach den unerlösten Provinzen und ich werde es dort hinunterwerfen von dem Morro zu Arica. Ich werde meine Zigarette damit anstecken und überhaupt – mueran los rotos!«
Nachlässig griff er in die Tasche und zählte sechs Soles auf den Schanktisch. Ich raffte den Schatz zusammen, sagte »muchas gracias!« und verschwand schleunigst durch die improvisierte Tür in die sonnenhelle Straße.
Im Augenblick wußte ich nicht genau, um wieviel ich zu kurz gekommen war bei diesem besonderen Hexeneinmaleins der Valuta. Und ich nahm mir auch nicht die Mühe, es auszurechnen. Es kam wirklich nicht mehr darauf an nach so vielem anderen. Ich setzte mich auf die Kaimauer neben meinen Seesack und schaute lange und nachdenklich auf das glitzernde Wasser und auf das Kommen und Gehen der Boote. Ich musterte die Segelschiffe, die draußen auf der Reede lagen, und wunderte mich, ob wohl eines von diesen mich demnächst nach Australien bringen würde. Denn das waren im Augenblick meine geheimsten Wünsche, und eben zu diesem Zweck hatte ich die lange Reise unternommen nach diesem Erdenwinkel. Ich war indes nicht der einzige, der hier in der Sonne saß. Kein Winkel dieser Erde ist so weltabgeschieden, als daß in ihm nicht mit zerlumpten Kleidern und hungrigen Augen die traditionelle Gestalt der gescheiterten Teerjacke einherschreite. Hier saßen ihrer eine ganze Reihe. Einer von ihnen – ein großer fetter Bursche mit wässerigen Augen und einem Sommersprossengesicht –, der auch mich in all meiner Ärmlichkeit als ein zahlungsfähiges Objekt ansehen mochte, kam auf mich zu mit der üblichen Anrede:
»Got a match, Jack?«
Ich gab ihm das gewünschte Streichholz, worauf er um den Preis eines Glases Bier und hierauf um einen Sol für ein Nachtquartier anhielt. Ich hatte Mühe, ihm auseinanderzusetzen, daß ich selbst nichts hatte, und daß, wenn ich nicht bald Arbeit fände – –
Solche Bemerkung verursachte einen Ausbruch der Entrüstung bei der gesamten hier versammelten Strandläuferschar.
»Was? Ar–beit? Mensch, du hast dir wohl irgendwo einen Sonnenstich geholt? Arbeiten in Peru? Hat man schon so etwas gehört?«
»Aber warum denn nicht?«
»Warum? Eben darum! So etwas tut man nicht hierzulande! Man richtet sich eben ein. Man schläft in den Beibooten und in den Leichtern am Strande, man liest die Centavos zusammen auf der Plaza, man futtert Reis bei den Chinesen, man schnürt den Gürtet enger, wenn man hungrig ist, man sitzt auf der Bank und wartet bis ein Dummer kommt, man wartet, wartet, wartet, bis man auf irgendeinem Kasten wieder hinausschlüpfen kann aus diesem Loch, aber arbeiten–Mensch! Willst du denn die ganze Zunft blamieren? Zwei Soles zahlen sie hier für ein Tagewerk, und wenn sie ganz gnädig sind, so sind es deren drei, und damit kannst du zur Not noch Kost und Logis bekommen mit Reis und Regenwürmen: bei einem Hundesohn von einem Chinesen. Wenn du lebst wie ein Nigger und nie ein Glas Whisky trinkst, so kannst du dabei in einem Jahr genug sparen, um ein Paar Pantoffel aus Segeltuch zu kaufen. Vom nächsten Neujahr an mußt du dann beizeiten mit dem Sparen wieder anfangen, wenn es zu Silvester für eine Mütze langen soll, und bei der Zeit sind die Pantoffel wieder zerrissen, und es geht wieder von vorne an.– Ja, Arbeiten!«
Er schüttelte sich ordentlich bei dem Gedanken, und die anderen, die dabei standen, schüttelten sich auch. Einer von den Burschen – ein etwa dreißig- bis fünfunddreißigjähriger Mann mit Namen August – war ein deutscher Landsmann und bot sich mir als Cicerone an für den Rest des Tages. Wir gingen zusammen durch die Stadt, vorbei an schmutzigen Häusern, über schlecht gepflasterte Straßen, weite Plätze unter brütender Sonne und durch ganz enge, getäfelte, an Venedig erinnernde Gänge, die zu beiden Seiten von Wirtshäusern nur so überquollen. Von überall kam der Lärm von schreienden Grammophonen, betrunkenen Matrosen und weinenden Leierkasten, und über allem anderen Lärm ertönten die gellenden Rufe der Lotterieverkäufer.
»Hunderttausend Soles – Para hoy!«
Während all dieser Zeit wurde August nicht müde, mir seine amerikanische Leidensgeschichte zu erzählen. Was er vorbrachte, war ziemlich konfus, aber auch das, was man verstehen konnte, war genug, um einen mit blassem Neid zu erfüllen vor solcher Vielseitigkeit. Er war Schiffszimmermann von Beruf und vor zehn Jahren in Punta Arenas von einem »Kosmoskasten« weggelaufen, und seither hatte er sich in mehr Berufen betätigt, als es Hafenstädte an der pazifischen Küste gibt. Bis wir auf der Plaza San Martin waren, hatte er deren schon zwanzig aufgezählt, und noch immer ging es weiter wie eine Sintflut. Als er eben dabei war, von seinen Abenteuern als Gummibaron in den bolivianischen Sümpfen zu berichten, waren wir dort angelangt, wo es den Wandersmann schon immer von selbst hinzieht: zwischen den Docks und Kais, inmitten des lärmenden Lebens am Hafen. Wir gingen vorbei an qualmenden Dampfern und schlanken Schonern, an zwei bewachsenen Brückenpfeilern, auf deren Köpfen kriegerisch ausschauende Kormorane saßen. August, der offenbar schon länger hier am Strande lag, als er wahrhaben wollte, kannte jedes einzelne Schiff und seine Mannschaft und hielt mir über jedes einen Vortrag. Vor einer hölzernen Dreimastbark, die wohl um die Mitte des vorigen Jahrhunderts schon zur See gefahren war, blieb er stehen und betrachtete sie lange und andächtig.
»Guter alter Kasten!« sagte er wehmütig. »Manche Reise habe ich auf ihm gemacht, immer mit einer Ladung Zucker von Payta und zurück mit Guano von den Inseln. Der Kapitän ist ein fixer Junge aus Schulau an der Elbe. Eine hübsche Stange Geld hat er sich schon verdient mit dem Kokainschmuggel. Auf mich ist er nicht mehr gut zu sprechen, seitdem ich in Guayaquil die Seide an Land brachte und er dafür bestraft wurde von den Zollbehörden, weil der Chinese nicht dicht gehalten hatte. – Aber Smutje, der Koch, ist noch immer mein Freund. Er ist ein Hamburger Jung und paßt zu der peruanischen Flagge hier am Heck wie ein Hering zu einer Makrele.«
Während er noch so redete, waren wir schon das Gangplank hinaufgegangen und standen vor der Kombüse, wo Smutje erschien in seiner behäbigen Gestalt, die die ganze Türöffnung ausfüllte.
»Det ward all Tid!« sagte er ungeduldig. »Nächstens muß man euch noch eine Einladungskarte schicken.«