Die Propeller-Insel. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
geschieht denn auch sofort. Sobald der Violoncellist nebst Genossen sich in dem Behälter befinden, setzt dieser sich in Bewegung und langt binnen kaum einer Minute unten im Turme an.
»Und nun«, ruft Pinchinat mit dem Fuße stampfend, »befinden wir uns nicht einmal auf natürlichem Boden!« (Im Original ein Wortspiel, da »sol« ebenso Boden, Erdboden heißt, wie es das »G« der Tonleiter bezeichnet.)
Für derartige Kalauer war der Zeitpunkt freilich schlecht gewählt. Es erfolgt auch keine Antwort darauf. Die Tür ist offen. Alle vier treten hinaus. Der innere Hof ist menschenleer. Sie schreiten darüber hin und folgen einer Avenue.
Einzelne Personen kommen an den Fremdlingen vorüber, ohne diesen irgendwelche Beachtung zu schenken. Auf eine Bemerkung Frascolins, der vor allem Klugheit empfahl, muss Sébastien Zorn auf alles Schimpfen und Wettern verzichten. Bei den Behörden nur wollen sie Gerechtigkeit suchen. Das läuft ihnen ja nicht davon. Man beschließt also, erst nach dem Exzelsior-Hotel zu gehen und da den nächsten Morgen abzuwarten, um dann in der Eigenschaft als freie Männer seine Rechte geltend zu machen. Das Quartett wandert also die First Avenue hinauf.
Haben unsere Pariser denn das Privilegium, die öffentliche Aufmerksamkeit zu erwecken? … Ja und nein. Man sieht sie wohl an, doch nicht in auffallender Weise, höchstens so, als gehörten sie zu den seltenen Touristen, die Milliard City zuweilen besuchen. Unter dem Drucke ganz außergewöhnlicher Verhältnisse sind sie selbst nicht gerade bei rosiger Laune und bilden sich ein, weit mehr angestarrt zu werden, als es wirklich der Fall ist. Andrerseits wird man es verzeihlich finden, dass ihnen diese »segelnden Insulaner« etwas närrisch erscheinen, diese Leute, die sich freiwillig von ihresgleichen trennten und nun auf dem größten Ozean der Erdkugel umherirren. Mit ein wenig Fantasie könnte man glauben, sie gehörten einem anderen Planeten unseres Sonnensystems an. Das ist wenigstens die Ansicht Yvernes, den sein überreiztes Hirn leicht nach nur erdachten Welten versetzt.
Pinchinat begnügt sich dagegen zu sagen:
»Alle diese Leute haben meiner Treu das richtige Millionäraussehen und scheinen mir unter den Nieren, ganz wie ihre Insel, einen kleinen Propeller mit herumzutragen.«
Inzwischen macht sich der Hunger immer mehr geltend. Seit dem Frühstück ist geraume Zeit verflossen und der Magen pocht auf sein Recht. Also schnellstens nach dem Exzelsior-Hotel! Morgen sollten die nötigen Schritte erfolgen, um mittels eines der Steamer von Standard Island nach San Diego zurückbefördert zu werden, nachdem Calistus Munbar von Rechts wegen eine reichlich bemessene Entschädigungssumme erlegt hätte.
Auf dem Wege durch die First Avenue bleibt Frascolin aber vor einem prächtigen Gebäude stehen, dessen Front in goldenen Lettern die Aufschrift »Casino« trägt. Rechts von der stolzen Säulenreihe, die den Haupteingang schmückt, erblickt man durch die mit Arabesken verzierten Spiegelscheiben eines Restaurants eine Menge Tische, von denen an verschiedenen gespeist wird, während ein zahlreiches Personal diensteifrig hin und her eilt.
»Hier gibt’s etwas zu essen!« ruft die zweite Violine mit einem Blicke auf die hungrigen Kameraden.
Darauf erfolgt von Pinchinat nur die lakonische Antwort:
»Hineintreten!«
Einer nach dem anderen betreten sie das Restaurant. Man scheint ihre Gegenwart in dem luxuriösen, von den Fremden meist aufgesuchten Etablissement nicht besonders zu bemerken. Fünf Minuten später vertilgen die Halbverhungerten schon mit Begierde die ersten Schüsseln einer vortrefflichen Mahlzeit, wozu Pinchinat – und der versteht sich darauf – die Speisenfolge aufgestellt hat. Glücklicherweise ist der Geldbeutel des Quartetts gut gespickt, und wenn er auf Standard Island auch abmagert, so werden die Einnahmen in San Diego ihn schon bald wieder aufschwellen lassen.
Die Küche ist ganz ausgezeichnet und der in den Hotels von New York und San Franzisko weit überlegen, und die Speisen werden hier in und auf elektrischen Öfen bereitet, die eine sehr genaue Regelung der Hitze ermöglichen. Auf die Suppe mit konservierten Austern, die Fricassés, den Sellerie und den hier stets aufgetischten Rhabarberkuchen folgen ganz frische Fische, Rumpsteaks von unvergleichlicher Zartheit, Wild, das jedenfalls den Prärien und Wäldern Kaliforniens entstammt, und Gemüse, die aus den intensiven Kulturen der Insel selbst herrühren. Als Getränk gibt es nicht das in Amerika allgemein gebräuchliche Eiswasser, sondern verschiedene Biere und Weine, die für die Kellereien von Milliard City aus den Geländen von Burgund, Bordeaux und des Rheins, natürlich mit hohen Kosten, bezogen waren.
Dieses Menü bringt unsere Pariser auf andere Gedanken. Vielleicht betrachten sie das Abenteuer, in das sie geraten sind, schon unter günstigerem Lichte. Bekanntlich haben ja alle Orchestermusiker einen guten Zug. Was aber bei denen natürlich erscheint, die bei der Handhabung von Blasinstrumenten ihre Lunge tüchtig anstrengen, ist weniger zu entschuldigen bei denen, die Streichinstrumente spielen. Doch gleichviel: Yvernes, Pinchinat, selbst Frascolin fangen an, das Leben rosenrot und in dieser Stadt der Milliardäre selbst goldfarbig zu sehen. Nur Sébastien Zorn allein widersteht der Versuchung und lässt seinen Ingrimm nicht durch die feurigen Gewächse Frankreichs ertränken.
Kurz, das Quartett ist bemerkbar »angehaucht«, wie man im alten Gallien sagt, als die Stunde kommt, die Rechnung zu verlangen. Von dem Oberkellner des Hotels, der in schwarzer Kleidung erscheint, wird sie Frascolin, als dem Kassierer, eingehändigt.
Die zweite Violine wirft einen Blick darauf, erhebt sich, sinkt zurück, erhebt sich wieder, reibt sich die Augen und starrt nach der Decke.
»Was fehlt dir denn?« fragt Yvernes verwundert.
»Es läuft mir ein Frostschauer durch Mark und Bein«, antwortet Frascolin.
»Es ist wohl teuer hier?«
»Mehr als teuer. Der Spaß kostet zweihundert Francs …«
»Für alle vier?«
»Nein, für jeden!«
In der Tat: Hundertsechzig Dollar, nicht mehr und nicht weniger, und im einzelnen beläuft sich die Nota für die Vorspeise auf fünfzehn Dollar, für den Fisch auf zwanzig, für die Rumpsteaks auf fünfundzwanzig Dollar, für den Medoc und den Burgunder auf dreißig Dollar für die Flasche, und für das übrige im Verhältnis hierzu.
»Donnerwetter!« platzt die Bratsche