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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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und er wein­te laut. Die Prü­gel gar, als er von den Lum­pen die Knöp­fe ge­stoh­len hat­te! Die­se Hand war schreck­lich ge­we­sen; Die­de­richs Herz krampf­te sich, nun er sie ver­lie­ren soll­te. Er fühl­te, dass sei­ne Mut­ter das glei­che im Sinn hat­te, und sie ahn­te sei­ne Ge­dan­ken. Auf ein­mal san­ken sie ein­an­der, über das Bett hin­weg, in die Arme.

      Bei den Kon­do­lenz­be­su­chen hat­te Die­de­rich sich zu­rück. Er ver­trat vor ganz Net­zig, stramm und for­men­si­cher, die Neu­teu­to­nia, sah sich an­ge­staunt und ver­gaß dar­über fast, dass er trau­er­te. Dem al­ten Herrn Buck ging er bis zur äu­ße­ren Tür ent­ge­gen. Die Be­leibt­heit des großen Man­nes von Net­zig ward ma­je­stä­tisch in sei­nem glän­zen­den Geh­rock. Wür­de­voll trug er den um­ge­wen­de­ten Zy­lin­der­hut vor sich her; und die an­de­re, vom schwar­zen Hand­schuh ent­blö­ßte Hand, die er Die­de­rich reich­te, fühl­te sich über­ra­schend zart­flei­schig an. Sei­ne blau­en Au­gen dran­gen warm in Die­de­rich ein, und er sag­te:

      »Ihr Va­ter war ein gu­ter Bür­ger. Jun­ger Mann, wer­den Sie auch ei­ner! Ha­ben Sie im­mer Ach­tung vor den Rech­ten Ih­rer Mit­menschen! Das ge­bie­tet Ih­nen Ihre ei­ge­ne Men­schen­wür­de. Ich hof­fe, wir wer­den hier in un­se­rer Stadt noch zu­sam­men für das Ge­mein­wohl ar­bei­ten. Sie wer­den jetzt wohl fer­tig stu­die­ren?«

      Die­de­rich konn­te kaum das Ja her­aus­brin­gen, so sehr ver­stör­te ihn die Ehr­furcht. Der alte Buck frag­te in leich­te­rem Ton:

      »Hat mein Jüngs­ter Sie in Ber­lin schon auf­ge­sucht? Nein? O, das soll er tun. Er stu­diert jetzt auch dort. Wird aber wohl bald sein Jahr ab­die­nen. Ha­ben Sie das schon hin­ter sich?«

      »Nein« – und Die­de­rich ward sehr rot. Er stam­mel­te Ent­schul­di­gun­gen. Es sei ihm bis­her ganz un­mög­lich ge­we­sen, das Stu­di­um zu un­ter­bre­chen. Aber der alte Buck zuck­te die Ach­seln, als sei der Ge­gen­stand un­er­heb­lich.

      Durch das Te­sta­ment des Va­ters war Die­de­rich ne­ben dem al­ten Buch­hal­ter Söt­bier zum Vor­mund sei­ner bei­den Schwes­tern be­stimmt. Söt­bier be­lehr­te ihn, dass ein Ka­pi­tal von sieb­zig­tau­send Mark da sei, das als Mit­gift der Mäd­chen die­nen sol­le. Nicht ein­mal die Zin­sen durf­ten an­ge­grif­fen wer­den. Der Rein­ge­winn aus der Fa­brik hat­te in den letz­ten Jah­ren durch­schnitt­lich neun­tau­send Mark be­tra­gen. »Mehr nicht?« frag­te Die­de­rich. Söt­bier sah ihn an, zu­erst ent­setzt, dann vor­wurfs­voll. Wenn der jun­ge Herr sich vor­stel­len könn­te, wie sein se­li­ger Va­ter und Söt­bier das Ge­schäft her­auf­ge­ar­bei­tet hät­ten! Ge­wiss war es ja noch aus­deh­nungs­fä­hig …

      »Na, is jut«, sag­te Die­de­rich. Er sah, dass hier vie­les ge­än­dert wer­den müs­se. Von ei­nem Vier­tel von neun­tau­send Mark soll­te er le­ben? Die­se Zu­mu­tung des Ver­stor­be­nen em­pör­te ihn. Als sei­ne Mut­ter be­haup­te­te, der Se­li­ge habe auf dem Ster­be­bet­te die Zu­ver­sicht ge­äu­ßert, in sei­nem Sohn Die­de­rich wer­de er fort­le­ben, und Die­de­rich wer­de sich nie­mals ver­hei­ra­ten, um im­mer für die Sei­nen zu sor­gen, da brach Die­de­rich aus: »Va­ter war nicht so krank­haft sen­ti­men­tal wie du«, schrie er, »und er log auch nicht.« Frau Hess­ling glaub­te den Se­li­gen zu hö­ren und duck­te sich. Dies be­nutz­te Die­de­rich, um sei­nen Mo­nats­wech­sel um fünf­zig Mark er­hö­hen zu las­sen.

      »Zu­nächst«, sag­te er rau, »hab’ ich mein Jahr ab­zu­die­nen. Das kos­tet, was es kos­tet. Mit eu­ren klein­li­chen Geld­ge­schich­ten könnt ihr mir spä­ter kom­men.«

      Er be­stand so­gar dar­auf, in Ber­lin ein­zu­tre­ten. Der Tod des Va­ters hat­te ihm wil­de Frei­heits­ge­füh­le ge­ge­ben. Nachts frei­lich träum­te er, der alte Herr tre­te aus dem Kon­tor, mit dem er­grau­ten Ge­sicht, das er als Lei­che ge­habt hat­te – und schwit­zend er­wach­te Die­de­rich.

      Er reis­te, ver­se­hen mit dem Se­gen der Mut­ter. Gott­lieb Hor­nung und ihre ge­mein­sa­me Rosa konn­te er fort­an nicht brau­chen und zog um. Den Neu­teu­to­nen zeig­te er in an­ge­mes­se­ner Form sei­ne ver­än­der­ten Le­ben­sum­stän­de an. Die Bur­schen­herr­lich­keit war vor­über. Der Ab­schieds­kom­mers! Trau­er­sa­la­man­der wur­den ge­rie­ben, die für Die­de­richs al­ten Herrn be­stimmt wa­ren, aber die auch ihm und sei­ner schöns­ten Blü­te­zeit gel­ten konn­ten. Vor lau­ter Hin­ga­be ge­lang­te er un­ter den Tisch, wie am Abend sei­ner Auf­nah­me als Kon­knei­pant; und war nun al­ter Herr.

      Arg ver­ka­tert stand er tags dar­auf, in­mit­ten an­de­rer jun­ger Leu­te, die alle, wie er selbst, ganz nackt aus­ge­zo­gen wa­ren, vor dem Stabs­arzt. Die­ser Herr sah an­ge­wi­dert über all das männ­li­che Fleisch hin, das ihm un­ter­brei­tet war; an Die­de­richs Bauch aber ward sein Blick höh­nisch. So­fort grins­ten alle rings­um, und Die­de­rich blieb nichts üb­rig, als auch sei­ner­seits die Au­gen auf sei­nen Bauch zu sen­ken, der er­rö­tet war … Der Stabs­arzt hat­te sei­nen vol­len Ernst zu­rück. Ei­nem, der nicht so scharf hör­te, wie es Vor­schrift war, er­ging es schlecht, denn man kann­te die Si­mu­lan­ten! Ein an­de­rer, der noch dazu Le­vy­sohn hieß, be­kam die Leh­re: »Wenn Sie mich wie­der mal hier be­läs­ti­gen, dann wa­schen Sie sich we­nigs­tens!« Bei Die­de­rich hieß es:

      »Ih­nen wol­len wir das Fett schon weg­ku­rie­ren. Vier Wo­chen Dienst, und ich ga­ran­tie­re Ih­nen, dass Sie aus­se­hen wie ein Chris­ten­mensch.«

      Da­mit war er an­ge­nom­men. Die Aus­ge­mus­ter­ten fuh­ren so schnell in ihre Klei­der, als brenn­te die Ka­ser­ne. Die für taug­lich Be­fun­de­nen sa­hen ein­an­der prü­fend von der Sei­te an und ent­fern­ten sich zau­dernd, als er­war­te­ten sie, dass eine schwe­re Hand sich ih­nen auf die Schul­tern lege. Ei­ner, ein Schau­spie­ler mit ei­nem Ge­sicht, als sei ihm al­les eins, kehr­te um, stell­te sich noch­mals vor den Stabs­arzt hin und sag­te laut, mit sorg­fäl­ti­ger Auss­pra­che: »Ich möch­te noch hin­zu­fü­gen, dass ich ho­mo­se­xu­ell bin.«

      Der Stabs­arzt wich zu­rück, er war ganz rot. Stimm­los sag­te er: »Sol­che Schwei­ne kön­nen wir al­ler­dings nicht brau­chen.«

      Die­de­rich drück­te den künf­ti­gen Ka­me­ra­den sei­ne Ent­rüs­tung aus über ein so scham­lo­ses Ver­fah­ren. Dann sprach er noch den Un­ter­of­fi­zier an, der vor­her an der Wand sei­ne Kör­per­län­ge ge­mes­sen hat­te, und be­teu­er­te ihm, dass er froh sei. Trotz­dem schrieb er nach Net­zig an den prak­ti­schen Arzt Dr. Heu­teu­fel, der ihn als Jun­gen im Hals ge­pin­selt hat­te: ob der Dok­tor ihm nicht be­schei­ni­gen wol­le, dass er skro­fu­lös und ra­chi­tisch sei. Er kön­ne sich doch nicht rui­nie­ren las­sen mit der Schin­de­rei. Aber die Ant­wort lau­te­te, er sol­le nur nicht knei­fen, das Die­nen wer­de ihm treff­lich be­kom­men. So gab Die­de­rich denn sein Zim­mer wie­der auf und fuhr mit sei­nem Hand­kof­fer in die Ka­ser­ne. Wenn man schon vier­zehn Tage dort woh­nen muss­te, konn­te man so lan­ge die Mie­te spa­ren.

      So­fort ging es mit Reck­tur­nen, Sprin­gen und an­de­ren atem­rau­ben­den Din­gen an. Kom­pa­nie­wei­se ward man in den Kor­ri­do­ren, die »Ray­ons« hie­ßen, »ab­ge­rich­tet«. Leut­nant von Kul­lerow trug eine un­be­tei­lig­te Hochnä­sig­keit zur Schau, die Ein­jäh­ri­gen be­trach­te­te er nie an­ders als mit ei­nem zu­ge­knif­fe­nen Auge. Plötz­lich schrie er: »Abrich­ter!« und gab den Un­ter­of­fi­zie­ren eine In­struk­ti­on, wor­auf er sich ver­ach­tungs­voll ab­wand­te. Beim Ex­er­zie­ren im Ka­ser­nen­hof,


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