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Zwischen den Rassen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Zwischen den Rassen - Heinrich Mann


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Brief von Pai brachte sie davon ab. Pai schrieb aus Argentinien, wohin seine Geschäfte ihn genötigt hatten.

      „Es geht alles nach Wunsch, und ich darf hoffen, mich bald an dem Ziel zu sehen, das ich mir vorgesteckt habe: die Meinen sicher zu stellen und sie in meinem Lande zu vereinigen. Vorerst denke ich Dich, mein Kind, in nächster Zukunft dort aufzusuchen. Nur eine kurze Rückkehr nach Rio ist geboten.“

      „Und dort hält dann wieder irgend etwas ihn fest,“ dachte Lola. „Das kennen wir doch.“

      Sie glaubte Pai nicht mehr. Vielleicht hatte er die besten Absichten; aber so vieles war ihm wichtiger als Lola und lenkte ihn von ihr ab. Nach all den Jahren konnte er sich höchstens sagen: Ich habe eine Tochter, und den Gedanken an seine Tochter gern haben. Lola gern haben konnte er schwerlich: kannte er sie doch gar nicht.

      „Nicht von Belang“; damit legte sie den Brief zu den übrigen. Aber bei der Arbeit ertappte sie sich plötzlich auf einer freudigen Unruhe und darauf, daß sie schon während der ganzen letzten Seite nur an Pais Kommen gedacht und alles falsch gemacht hatte. Vergebens ermahnte sie sich: „Als ich klein war, hat Pai sehr schlecht an mir gehandelt; nie kann ich das vergessen“: — so oft sie an Pais Besuch dachte, bekam sie Herzklopfen. Und allmählich dachte sie nur daran. Unter allen anderen lächelte dieser eine Gedanke, und Lola selbst hatte beständig ein Lächeln zu unterdrücken. In ihr begann ein Steigen und Fallen von Plänen, wie ein Springbrunnen, den man aufschließt: immer höher, immer zuversichtlicher schnellt er empor. Anfangs wagte sie zu hoffen: „Wenn Pai kommt, vielleicht kann ich mit ihm zusammen wohnen? Einmal doch von den Fremden weg und bei meinem Vater wohnen!“ Dann fiel ihr ein: „Aber warum denn hier bleiben? Warum nicht eine Reise machen?“ Viele Orte, die sie gern gesehen hätte, sprangen ihr durch den Sinn. Auf einmal stand alles andere still, und eine kleine schüchterne Stimme fragte: „Und Rio?“ Zuerst war Lola fassungslos; plötzlich entschloß sie sich: „Ja, Rio! Was ist dabei? Wenn ich Pai bitte, wird er mir doch erlauben, Mai wiederzusehen. Die Reise ist jetzt so kurz. Und für ihn ist es das bequemste: er bleibt dann gleich dort, wenn ich zurückfahre.“ Endlich, auf dem Gipfel des Springstrahls: „Nein! Ich fahre nicht wieder zurück. Bin ich dort, will ich’s schon durchsetzen. Was kann denn Pai dabei tun, wenn ich ihm um den Hals falle und nicht loslasse? Mündlich ist das alles ganz anders als in diesen dummen Briefen. Und schlimmsten Falles stecke ich mich hinter Mai oder hinter die Großeltern auf der großen Insel — ach nein, sie sind tot! — oder ich laufe davon: lieber als daß ich zurückkehre! O, jetzt hab’ ich’s!“

      Sie klatschte in die Hände: zum erstenmal seit den Kinderzeiten. Dann lief sie zu Erneste, ihrem Glücke Luft zu machen. Im Schwatzen bat sie plötzlich, ausgehen zu dürfen. Zu viel blühte in ihr auf, das Haus ward ihr zu eng. Nun schwatzte und lachte sie mit allen, wahllos und gedankenlos. Keinen Augenblick konnte sie stillhalten. Immer: „Wie seid ihr langweilig!“ Und: „Geht heute niemand aus?“ Im Gehen, im durch die Straßen Irren schien ihr’s, als komme sie ihren Wünschen näher. Zu Hause versank man in der Zeit, wie in Lehm. „Vorwärts, o Gott, nur vorwärts!“

      Eines Tages wie sie heimkam, trat Bertha ihr verstörten Gesichts entgegen.

      „Dein Vogel ist tot,“ sagte sie vorwurfsvoll; und Lola, kopflos:

      „Wieso?“

      „Ich sollte für Erneste etwas aus eurem Zimmer holen und da hab’ ich gesehen, daß er tot ist.“

      Lola schüttelte den Kopf. Sie ging hinein: wirklich, da lag er auf der Seite. Sie streckte mit Widerwillen einen Finger durch die Stäbe und zog ihn rasch wieder zurück. „Im Näpfchen sind noch viele Körner, er hat schon lange nichts mehr gefressen. Und gestern Abend sang er noch; ich mußte ihn zudecken. Nun, diese Art lebt vielleicht nicht länger: tröste dich.“ Sie hatte das Bedürfnis, rasch weiterzukommen. Ihr nach Glück jagender Sinn wußte mit dem Tod, der ihr in den Weg trat, nichts anzufangen und erkannte ihn kaum. Wie sie die Tür öffnete, stand jemand davor mit einem schwarzgeränderten Brief. Erstaunt nahm sie ihn und trat zurück ins Zimmer. Die Schrift kannte sie nicht; die ersten Worte hießen:

      „Liebe Lola! Ein großes Unglück ist geschehen, unser Vater ist gestorben.“

      „Wessen Vater?“ Sie sah nach der Unterschrift: „Dein Bruder Paolo.“ „Paolo? Welch Unsinn! Mein Bruder hieß Nene.“ Sie las weiter.

      „Unser Vater reiste, wie dir vielleicht bekannt ist, die letzte Zeit in Argentinien und kaum zurückgekehrt, nahm er das Gelbe Fieber: so wahr ist es, daß kein nicht in Rio Geborener sich entfernen darf ohne Gefahr, bei seiner Heimkunft ein Opfer der schrecklichen Krankheit zu werden.“

      „Es scheint doch Pai zu sein.“ Sie las noch:

      „Unsere liebe Mama weint mit mir. Weine mit uns, Schwester!“

      „Pai ist tot?“ dachte Lola. „Er wollte doch herkommen!“ Ihr planloser Blick durchsuchte das Vogelbauer; da bemerkte sie:

      „Das sind nur leere Hülsen! Wahrhaftig, kein einziges Korn. Dann ist er verhungert! Ich habe ihn verhungern lassen! Mein Gott! Und ich hatte ihn doch lieb!“

      Sie gedachte und rang dabei die Hände, der Zeit, da sie den kleinen Vogel fand und zu sich nahm, und der Zärtlichkeit, die sie auf dies rührende, jetzt so kalte Gefieder gehäuft hatte: all das Gefühl, dessen sie nur die luftigeren, gütigeren, reineren Geschöpfe höherer Sterne wert gehalten hatte. Wie hatte es geschehen können, daß ihr diese große Liebe nach und nach ganz aus dem Sinn gekommen war: so sehr, daß dies arme Tier sie langweilte und sie’s verhungern ließ? Wir waren also unseres Herzens nicht sicher? Wie schrecklich! „Nur aus Eigennutz liebte ich ihn. Ich hätte ihn in seinem Walde lassen sollen. Aber auch er hatte mich lieb: lieber als ich ihn. Er pfiff, wenn ich ins Zimmer trat, und sobald ich die Lippen hinhielt, legte er den Schnabel dazwischen. Gestern Abend hat er noch gesungen: vielleicht um mir zu sagen, er sei mir nicht böse.“

      Und unter dem Bewußtsein versäumter Liebe brach sie in die Knie und schluchzte: „Pai ist tot!“ Alles was sie bis dahin gedacht hatte, war nur wie das Keuchen, bevor die schweren Tränen kommen. Jetzt erst wußte Lola: „Pai ist tot;“ und von allen Seiten fiel’s über sie her: „Du hast ihn nicht lieb gehabt. Du bist ihm böse gewesen, hast ihn nicht verstanden. Er wollte dein Bestes und hat nur dafür gearbeitet. Lies seine Briefe!“

      Sie las den letzten und erkannte plötzlich, welche wichtige Sache es für ihn gewesen war, sie wiederzusehen. Die Zeilen zitterten auf einmal von Sehnsucht und Ungeduld: „Daß ich das nicht gemerkt habe! Ich nannte ihn kalt. Die Kalte war ich: ich wollte nach Hause zurück, vielleicht mehr aus Eigenwillen, aus Hochmut. Das Zusammensein mit ihm genügte mir nicht; er aber sehnte sich nur danach. Wie er deswegen gelitten haben muß, ehe er starb!“

      Ihr Schmerz entriß ihr selbst alles Herz und gab es dem Toten. So zärtlich war er gewesen! „Es kann ja nur mein einziger Wunsch sein, dich glücklich und zufrieden durchs Leben schreiten zu sehen.“ Dies stand in dem Brief, worin er ihr die erbetene Heimreise abgeschlagen hatte; den sie für den liebeleersten gehalten, wegen dessen sie ihn fast gehaßt hatte! Jetzt lernte sie, in die Worte hineinzuhorchen. „Ich habe dich lieb,“ sagten alle, wie einst Pais erste deutsche Worte in seinem ersten Brief es Lola gesagt hatten.

      Pais schweren, ruhigen Schritt vernahm sie aus seinen Worten, fühlte seine starke, gute Hand, sah die verhaltene Empfindung in seinem ernsten Gesicht. „Auf der Großen Insel! Pai besuchte mich; ich war ganz klein, er so groß und blond, viel größer als alle Menschen. Alle bewunderten ihn und beneideten mich, wenn ich an seiner Hand ging. Wie stolz war ich auf ihn!“ Bei dieser Erinnerung warf Lola sich, aufschreiend, zu Boden.

      Erneste kam und wagte lange nichts zu sagen. Lola lag da, reichte Erneste, ohne das mit den Armen verhüllte Gesicht zu erheben, den Brief hin, schüttelte sich aber, sobald Erneste, über ihren Nacken gebeugt, nur flüsterte. Plötzlich fuhr sie empor.

      „Ich bin eine schlechte Tochter gewesen!“

      „Wie magst du das sagen!“ stammelte Erneste. „Seit früher Kindheit hast du deinen guten Vater nicht mehr gesehen.“

      Lola


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